Wer solche Verträge eingeht, muss sich auch an die vereinbarten Bestimmungen halten; und wer gegen diese Bestimmungen verstößt, muss unweigerlich – wie bei jedem Vertrag – mit Sanktionen, Disziplinarmaßnahmen oder anderen rechtlichen Konsequenzen (z.B. Schadensersatz, Regresse) rechnen. Gleichermaßen sind alle Vertragsärzte insbesondere an die komplexen und zum Teil rigiden Abrechnungsregelungen im EBM und HVM gebunden. Hintergrund für diese strengen Voraussetzungen ist der Umstand, dass im Dreiecksverhältnis der GKV der Patient nicht gleichzeitig auch der Schuldner der Arztrechnung ist; vielmehr erbringt der Arzt seine Leistungen am Patienten, zahlungspflichtig ist aber ein Dritter, nämlich die KVen bzw. die gesetzlichen Krankenkassen (sog. Sachleistungsprinzip im Gegensatz zum Kostenerstattungsprinzip der PKV). Daher legen die KV´en und die gesetzlichen Krankenkassen so großen Wert auf eine ordnungsgemäße Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen „ihrer“ Vertragsärzte.
Gegenstand von Disziplinarverfahren gegen Vertragsärzte sind daher häufig fehlerhafte Abrechnungen. Das Vertragsarztrecht lässt Privatliquidationen gegenüber gesetzlich krankenversicherten Patienten nur in seltenen Ausnahmefällen unter bestimmten Voraussetzungen, bspw. als Verlangensleistungen (iGeL), zu. Dass ein Fehlverhalten in diesem Zusammenhang teuer werden kann, musste kürzlich ein Augenarzt aus Bayern erfahren.
Der Fall:
Eine gesetzlich krankenversicherte Patientin wandte sich wegen akuter Beschwerden am Auge an die Praxis des Augenarztes. Dort wurde sie vom Praxispersonal gefragt, ob sie in dem Quartal bereits bei einem anderen Augenarzt vorstellig geworden sei, was die Patientin bejahte. Daraufhin teilte man ihr mit, dass sie nur behandelt werden könne, wenn sie die Behandlung selber zahle, sie könne aber auch eine andere Praxis aufsuchen. Die Patientin unterzeichnete daraufhin eine iGeL-Vereinbarung über die Einholung einer „Zweitmeinung“ und zahlte 40,00 €. Erst danach wurde sie ärztlich untersucht und behandelt, u.a. wurde eine Zyste am Augenlid entfernt. Hierfür rechnete der Augenarzt zusätzlich zu der Privatliquidation Leistungen gegenüber seiner KV ab. Den vereinbarten Nachsorgetermin nahm die Patientin aus Angst vor weiteren Privatliquidationen nicht mehr wahr.
Die Patientin forderte schließlich den selbst gezahlten Betrag von 40,00 € vom Augenarzt zurück, unterlag jedoch in dem hierzu geführten Verfahren vor dem Amtsgericht. Angesichts der unterzeichneten Vereinbarung und dem Hinweis, die Patientin könne auch eine andere Praxis aufsuchen, hielt das Amtsgericht eine Rückforderung für rechtlich unbegründet.
Die Patientin teilte den Sachverhalt aber auch der für den Augenarzt zuständigen KV mit. Dort wurde daraufhin ein Disziplinarverfahren gegen den Arzt eingeleitet und ihm eine Geldbuße in Höhe von 2.500,00 € auferlegt. Als Begründung führte die KV an, der Arzt habe gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen. Es habe sich um eine Notfall- bzw. akute Schmerzbehandlung gehandelt, die nicht hätte verweigert werden dürfen. Zudem lägen die Voraussetzungen für eine individuelle Gesundheitsleistung nicht vor, es habe weder eine Zweitmeinung vorgelegen, noch habe die Patientin eine solche verlangt. Zudem läge eine unzulässige Doppelabrechnung vor.
Gegen die von der KV angeordnete Disziplinarmaßnahme erhob der Augenarzt Klage vor dem Sozialgericht, da er der Auffassung war, nur Leistungen in Rechnung gestellt zu haben, die nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung seien und auch kein Notfall bei der Patientin vorgelegen habe. Ferner könne er auf die Entscheidung des Amtsgerichts vertrauen.
Die Entscheidung:
Das Sozialgericht (SG München, Urt. v. 23.04.2021, AZ: S 28 KA 116/18) wies die Klage des Augenarztes unmissverständlich ab und erachtete die verhängte Geldbuße auch in ihrer Höhe als rechtmäßig. Hierzu führt das Sozialgericht an, dass es auf die Entscheidung des Amtsgerichts, die Patientin könne die 40,00 € nicht zurückfordern, nicht ankomme. Denn zunächst betreffe der Rechtstreit vor dem Sozialgericht einen anderen Streitgegenstand – die Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme – und die Entscheidung des Amtsgerichts entfalte ausschließlich Wirkungen zwischen dem Augenarzt und der Patientin, nicht aber gegenüber der nun beklagten KV.
Das Sozialgericht bestätigte die Auffassung der beklagten KV, dass der Augenarzt schuldhaft gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen habe. Dieses verpflichte den Vertragsarzt, seine Leistungen gegenüber Patienten kostenfrei zu erbringen. Zudem läge ein Verstoß gegen § 128 Abs. 5a SGB V vor. Demnach handeln Vertragsärzte pflichtwidrig, wenn sie Versicherte zur Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen anstelle der ihnen zustehenden Versicherungsleistungen beeinflussen.
Es könne ferner offen bleiben, ob tatsächlich ein Notfall vorgelegen habe, denn bei der Patientin habe jedenfalls eine akute Behandlungsbedürftigkeit bestanden, immerhin war die Zyste am Augenlid unmittelbar entfernt und ein Nachsorgetermin vereinbart worden. Daher habe die vertragsärztliche Verpflichtung bestanden, die Patientin zu behandeln. Eine Ablehnung der Behandlung durch den Augenarzt wäre nur in einem begründeten Einzelfall möglich (§ 13 Abs. 7 BMV-Ä), beispielsweise bei kapazitätsmäßiger Überlastung. Dass aber eine solche Überlastung nicht vorlag, folge bereits aus dem Umstand, dass der Augenarzt die Behandlung privatärztlich durchführte.
Auch die mit der Patientin getroffene Vereinbarung ließ das Gericht nicht gelten. Denn, so das Sozialgericht, habe der Augenarzt die Patientin über seine Behandlungspflicht informieren müssen. Gegenstand der Vereinbarung war die Einholung einer Zweitmeinung, vorliegend handele es sich jedoch ganz offensichtlich um eine „Erstmeinung“. Es läge eindeutig keine iGeL-Leistung vor, ein ausdrückliches Verlangen der Patientin habe gerade nicht vorgelegen. Auch eine Doppelabrechnung bestätigte das Gericht, denn der vereinbarte Betrag sollte offenbar pauschal die gesamte Behandlung umfassen und war gerade nicht nach einzelnen Leistungspositionen aufgeschlüsselt.
Damit stellte Sozialgericht fest, dass der Augenarzt gegen seine vertragsärztlichen Pflichten verstoßen habe. Im Hinblick auf die angeordnete Geldbuße erachtete das Sozialgericht deren Höhe auch als verhältnismäßig, sodass der Augenarzt mit seiner Klage insgesamt nicht durchdrang.
Fazit:
Der Augenarzt hat damit am Ende die 40,00 € Privatliquidation behalten dürfen, musste im Gegenzug jedoch eine Geldbuße von 2.500,00 € zahlen. Dieser Fall macht deutlich, dass mit Privatliquidationen gegenüber Kassenpatienten umsichtig umgegangen werden muss. Vertragliche Vereinbarungen zu Privatliquidationen sind dann nicht möglich, wenn diese einen Anspruch auf Behandlung im Rahmen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben. Zudem sind die Patienten über ihren Behandlungsanspruch aufzuklären. Die Behandlung von Patienten abzulehnen ist zwar grundsätzlich möglich, bedarf dann aber einer entsprechenden Begründung. Hat ein Arzt keine freien Kapazitäten mehr, darf er stattdessen nicht auf Privatliquidationen ausweichen.
Vertragsärzte sollten sich daher mit den einschlägigen Regelungen, insbesondere den Anforderungen an iGeL-Leistungen aus dem Bundesmantelvertrag vertraut machen. Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten können letztlich teuer werden, denn im Rahmen von Disziplinarverfahren drohen erhebliche Sanktionen, als strengste Maßnahme kann sogar die vertragsärztliche Zulassung temporär entzogen werden. Daher sollte schon im Vorfeld auf den richtigen Umgang mit Privatabrechnungen gegenüber Kassenpatienten geachtet werden.
* In diesem Beitrag wird ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit allein die männliche Form verwendet; gemeint sind Personen jeden Geschlechts (m/w/d).
Köln im September 2021